Täglich grüßt das Rotkäppchen

Grünkäppchen
Quelle: https://www.insuedthueringen.de/leben/netzwelt-multimedia/dpa/digitales/topapps/art661191,5384809

Es wird Abend, der Kleine muss langsam ins Bett und so beginnen wir mit dem Abendritual. Rituale sind wichtig, so kommen die kleinen Monsterchen auch schneller zur Ruhe und schlafen schneller ein, das wiederum hat zur Folge, dass man endlich Freizeit hat. Bei uns gehört dazu als erstes eine Waschung (duschen, baden oder an den Ohren durchs Wasser ziehen, je nach Verschmutzungsgrad), danach die letzte Ölung, nein Scherz. Alles schön schmieren, damit das Kind weniger quietscht. Fangzähne schrubben und ab ins Bett zum Kuscheln und zum Vorlesen. Vorlesen ist total schön, hab ich beim Großen auch jahrelang gemacht. Am Anfang macht das auch noch richtig Spaß, da die jüngeren Kinder noch mit fünf Zeilen bla bla zufrieden sind. Später wird es eher müßig wenn man mit brennenden Augen das Kind auf Knien anfleht, man dürfe nach 500 Seiten endlich aufhören zu lesen. Die ersten Jahre hab ich dem Großen immer Märchen vorgelesen, jeden Tag mal ein anderes. Hat ihm total gefallen. Nicht so der kleine Horror. Horror möchte seit Wochen!!! jeden Abend das Märchen vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf hören. Ach süß denken Sie jetzt, pah süß? Ich komme mir schon vor wie in „Täglich grüßt das Murmeltier“, bei dem der Tag immer wieder wiederholt wird. Und das ist nicht genug. Das Kind weigert sich zu akzeptieren, dass es nur ein Rotkäppchen gibt und kein Blaukäppchen oder Grünkäppchen. Also muss ich mich am Abend (bin ja nur ein wenig müde) immer schön auf das richtige Farbkäppchen konzentrieren, sonst gibt es wieder Motzerei und das führt zu verspätetem Einschlafen und weniger Zeit für Freizeit.

Rotkäppchen muss es also sein, jeden Abend dieses Rotkäppchen, oder Grünkäppchen oder was weiß ich. Ausgerechnet das unrealistischste Märchen unter den Märchen.

Da soll ein kleines Mädchen, scheinbar Scheidungskind denn Mama und Kind wohnen im Dorf (die Kappenfarbe sei ungenannt), der (alkohol-)kranken Großmutter Wein und Kuchen bringen. Es muss (ganz allein) durch den Wald laufen. Im Wald trifft es dann einen gefräßigen Fremden, der ihr vorschlägt Blümchen zu pflücken. Der Fremde ist natürlich ein Stalker oder Ähnliches, denn er kennt Mädchen als auch Oma und rennt zielgerichtet zu Omas Haus. Dort verstellt er dann seine Stimme und gibt sich als Rotkäppchen aus. Die Oma liegt „krank“ im Bett, ganz klar Entzugserscheinungen vom Alkohol, und lässt sich vom großen bösen Wolf fressen, (der sie vorher scheinbar noch ausgezogen hat, denn er zieht ja ihre Klamotten an). Der Typ hat natürlich einen Spezialmagen, in dem zwei Personen Platz haben und nicht verdaut werden. Er legt sich mit Omas Klamotten ins Bett und wartet. Sehr gute Verkleidung, das fällt dem Mädchen sicher nicht auf.

Nach Stunden, nachdem Madam endlich die paar Blumen, die ein Blumenstrauß fasst, gepflückt hat, trudelt sie am Haus der Großmutter ein. Haustür steht natürlich offen, also schaut sie mal nach der Großmutter. Da liegt ein fremder, haariger Typ im Bett. Entweder ist das Mädel kurzsichtig, oder sie tickert nebenbei aufm Handy. Vielleicht ist sie auch blond. Nee, darf man ja nicht sagen, politisch unkorrekt. Vielleicht denkt sie ja ein wenig spät. Also fragt sie allen Ernstes, warum ihre Omi so große Ohren, Augen, Hände und so ein großes Maul hat. Na klar wird sie dann gefressen, im Ganzen, ohne einen Kratzer. Völlig unversehrt! Von einem sprechenden, wilden Tier in Frauenkleidern.

Der Wolf kann sich natürlich kaum noch rühren und fällt ins Fresskoma, passiert mir auch öfter, ich schnarch dann auch genauso laut auf der Couch, ich will die wilden Tiere vertreiben, ganz klar. Jedenfalls ist dann ganz rein zufällig ein Jäger in der Nähe, das wäre dann Stalker Nummer 2 oder der Saufkumpan der alten Frau. Der hört das laute schnarchen, denn der Wolf schnarcht scheinbar durch Wände hindurch oder so laut, dass das Haus wackelt. Der Jäger geht ins Haus und will den Wolf gerade abknallen, als ihm einfällt, dass die Großmutter nicht etwa weg gerannt sein könnte, sondern freilich taufrisch im Bauch vom Wolf hockt. Also schneidet der Jäger den Bauch des Wolfes auf (der Wolf liegt ja im Koma und spürt rein gar nix) und ei siehe da das Rotkäppchen schaut aus dem Bauch. Oma wird auch gerettet, oh Freude. Der Wolf steht ja unter Artenschutz, also darf man ihn nicht töten, somit kommen die drei Schlaubis auf die Idee Steine ran zu schaffen, in den Bauch zu legen und zu gucken was passiert. Nach beendeter Arbeit und der Verstecksuche (das Koma geht nämlich erst danach zu Ende) will der Wolf aufspringen und stirbt unter der Last der Steine.

Ich bin nach einem fresskomaartigen Mittagsschläfchen noch nie aufgesprungen und los gerannt. Ich bin dann eher froh wenn ich noch weiß wer ich bin und wo ich bin.

Am Ende sind dann alle froh. Der Jäger hat einen neuen Pelz, die „kranke“ Großmutter hat endlich ihren Fusel und ihre Hände hören auf zu zittern und das Rotkäppchen schwört nie, nie wieder vom Weg abzugehen.

Ach kommt schon Leute, völlig an den Haaren herbei gezogen. Waren die Grimms selber besoffen oder dachten die das wird lustig, wenn den Scheiß mal jemand Abend für Abend vorlesen muss?

Wie dem auch sei, jetzt muss ich an dieser Stelle aufhören, denn es ist Abend und der Kleine ruft tänzelnd fragend Blaukäppchen? Grünkäppchen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert